Chronik Schule Rossrüti

Wir bedanken uns ganz herzlich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit mit Sandra Müggler und Renato Kissling.

Schule Rossrüti

Schulhausbau 1847/1848 (Ehemaliges Postgebäude)

Erste Hinweise auf eine Schule oder Schulstube gibt es erst, als nach dem Brand der alten Schule „hinter dem Schäfli“ (jetziges Gebäude Mettler) ein neues Schulgebäude erstellt werden musste. Das neue Schulhaus mit Lehrerwohnung kam gegenüber dem Gasthaus „Rössliguet“ zu stehen. Als 1908 das heutige Schulhaus erbaut wurde, diente es als Postablage vonRossrüti. Vom damaligen Schulhausbau 18477/1848 berichten die Protokolle der Schulgutsgenossenversammlungen, der Schulgutsverwaltung und der Baukommission 1847 bis 1850. Federführend in den Kommissionen waren vor allem Ratsmitglieder wie Hug, Egli, Grögli, Braun, Ehrat usw.

Für den Bau des neuen Schulhauses wurde der Kauf von zwei Bauplätzen beschlossen, vom Herrn Verwaltungsrath Hug fordert für ein Baublaz von 60 Schuh lang 50 Schuh breit 200 fl.(Gulden?), welcher angrenzt Morgen an Otmar Grögli, Mittag an sich selbst, Abens wider an sich selbst, Mitternacht an die Strasse Bauplan und Bauschrieb wurden von mehreren Instanzen begutachtet. So heisst es: „Auch solle die Sache dem Hochw. Herrn Pfarrer in Wyl vorgelegt und demselben in Berathung gegeben und zwar ohne Verzögerung.“

Der Erziehungsrat nahm zum Bauplan am 20. Sept. 1847 wie folgt Stellung:
An dem Bauplan haben wir nichts auszustellen. Es scheint uns derselbe nur über dem Bedürfnisse zu stehen; daher wir denn in wohlgemeinter Berücksichtigung dieser kleinen, wohl nicht sehr begütterten Genossenschaft die Bemerkung nicht verhalten können, dass ein beschränkter Bau von bedeutenden Minderkosten mit einer Schulstube für 80 Schüler berechnet ihrem Bedürfnis ebenso gut entsprechen könnte. So schlug der Schulverwaltungsrat eine Verkleinerung des Gebäudes um 4 Fuss vor, was aber an der Schulgenossenversammlung abgelehnt wurde. Man beschloss also, bei der ursprünglichen Grösse zu bleiben.

In einem Reglement wurde vorgeschrieben, wie viele Tage Frondienst (abhängig vom Vermögen und pro Haushalt) zu leisten seien, dass das Werkzeug mitzubringen sei, wann Arbeitsbeginn und Arbeitsende sei, wie viel Busse bei Nichterfüllen des Frondienstes zu bezahlen sei usw. Nicht immer verlief alles wunschgemäss. So wurde der vom Erziehungsdepartement genehmigte Bauplan vermisst. Nicht ersichtlich ist, ob er beim Schulinspektor Müller liegen geblieben ist. – Eine Versammlung wurde wegen Streit mit der Baukommission „im Sturm aufgelöst“. Eine andere Sitzung wurde als nichtig erklärt. Einmal bezeichnete Berichterstatter Egli Gemeinderat Hug als „Lüger“, wenn Hug behaupte, Egli habe die Schriften im Dorf herum getragen“. Und dann war da Vater Hug, der nicht zur Fronarbeit erschienen ist. Deshalb hat die Gemeinde beschlossen, „es sei Gall Pankraz Hug Vatter verpflichtet sein betröfnis dem Frohnen, für das erste Vierteljahr mit 27 Tagen zu Bezahlen“. Am Sonntag, den 22. Oktober 1848 wurde die neue Schule im Beisein von Schulinspektor Müller eingeweiht. Dazu wurde er eigens mit einem Pferdegefährt in Oberbüren abgeholt.

StaSG 127–2, katholisches Erziehungswesen und Archiv Schulgemeinde Rossrüti
Armin Hollenstein

 

Wohnen in der Armenanstalt (2. Teil)

Herr Stadler heute wohnhaft an der Oberdorfstrasse, war „Schaffner“ im Rosengarten
von 1956 – 71. Heute wäre seine Berufsbezeichnung Meisterknecht oder Verwalter der Landwirtschaft.

Herr Stadler hat gerne und mit Erfolg Rinder gezüchtet. Der Ertrag aus dem Verkauf der Zuchttiere war grösser als der aus dem Milchverkauf. Auch hat er verschiedene Preise gewonnen.

Das Haus wurde von Ordensschwestern geführt, eine Oberschwester und eine Küchenschwester. 10 bis 12 „Insassen“ lebten damals im Haus, zwei pro Zimmer. Der Dachstock war noch nicht ausgebaut. Die Schwestern lebten selber auch im Haus. Männer und Frauen assen getrennt in zwei verschiedenen Stuben. Die meisten Bewohner waren nicht mehr in der Lage im Betrieb mitzuhelfen. Einige der Frauen konnten noch ab und zu etwas jäten im grossen Gemüsegarten auf der Westseite des Hauses. Die Männer wurden manchmal noch eingesetzt um nach zu rechen. Erst 1965 wurde ein Ladewagen angeschafft. Vorher wurde das Heu von Hand aufgeladen.

Die meisten „Insassen“, wie sie damals noch genannt wurden, waren schon ältere Personen. Einige davon lebten aber schon 20 bis 30 Jahre dort, waren also schon in jungen Jahren im Bürgerheim eingezogen.

Herr Stadler weiss noch einige „Müsterli“ zu erzählen aus seiner Zeit im Rosengarten, z.B.:

Michel (Name geändert), hat gerne „Fuhrmaa“ gespielt. Er hat aber das Pferd immer
zu viel gefüttert. Bei Kritik von seinem Chef wurde er sehr ärgerlich. Michel hatte auch die
Angewohnheit, wenn er mit dem Essen fertig war, und er war schnell im Essen, auch allen andern Bewohnern den Teller ab zu räumen, ganz gleich ob dieser leer war oder nicht. Als die Oberschwester wieder einmal einzugreifen versuchte, bedrohte Michel sie mit dem Messer. „… und überhaupt niemand muss mir dreinreden!“ Schnell kam ein anderer Bewohner, Herrn Stadler zu Hilfe zu holen. Er musste ziemlich handgreiflich werden, um die Situation zu beruhigen.

In diesen Beschreibungen war Michel schon etwa 80 Jahre alt. In früheren Jahren war er ein Wandervogel. Immer wieder packte er im Frühling sein Bündel und zog einfach los. Er hatte da und dort gearbeitet. Weil er aber mit seinen frechen Worten immer wieder aneckte, blieb er nie lange an einem Ort. Wenn er keine Unterkunft hatte, hat er sich einfach in einem Hotel eingemietet. Geld hatte er keins, deshalb ist er jeweils einfach wieder verschwunden. Im Herbst, wenn es dann langsam kalt wurde, kam er immer wieder zurück nach Rossrüti, zusammen mit verschiedenen Rechnungen…

Sandra Müggler

 

Wohnen in der Armenanstalt

„Aus dem Hausreglement der Armenanstalt der Gemeinde Bronschhofen in Rossreute, 1895

6. Alle Familienglieder sind gehalten, zur Sommerszeit v. 1. April bis 1. Okt.
Morgens um 5 Uhr aufzustehen, sich alsdann gehörig zu reinigen, darauf findet ein
gemeinschaftliches Morgengebet statt; nachher wird gefrühstückt u geht es alsdann an die Arbeit. Um ca. ½ 12 Uhr beginnt das Mittagessen, mit Gebet vor u. nach demselben. Abends 7 ½ Uhr findet das Nachtessen statt, nachher gemeinschaftliches Abendgebet.
Erwachsene sowie grössere Kinder, die häusliche Arbeiten zu verrichten, arbeiten bis 9 Uhr, wo sich dann alle zur Ruhe zu begeben haben; kleinere Kinder dagegen gehen sofort nach dem Nachtessen zu Bette. Zur Winterzeit vom 1. Oktober bis 31. März erfolgt das Aufstehen morgens 6 Uhr; 7 Uhr Frühstück, 11 ½ Uhr Mittagessen, 5 ½ Uhr Nachtessen, nachher Abendandacht u verschiedene Beschäftigungen, bis 8 Uhr u dann zur Ruhe. Kinder, die keine Beschäftigung haben gehen um 7 Uhr zu Bette.

7. Von diesen in Art. 6 aufgestellten Regeln sind enthoben kleine Kinder, Kranke
u altersschwache Personen.“

Ich bat Herrn Enz, Jahrgang 1911, seit 9 Jahren Pensionär im Alters- und Pflegeheim Rosengarten in Rossrüti, dieses Regelement aus 1895 durch zu lesen.

Herr Enz ist Bürger von Rossrüti, er ist hier im Dorf geboren und hat immer hier gelebt. Mich interessierte, was er noch weiss aus dieser Zeit, als das Bürgerheim, wie es damals genannt wurde, noch Armenanstalt war. 1902 wurde das Gebäude des heutigen Rosengartens erstellt.

Im Dorf wollte man keinen Kontakt mit den Leuten, die dort lebten. Es waren Bürger die kein Geld mehr hatten. Ins Armenhaus zu gehen war eine grosse Schande. Die Grosseltern und auch die Eltern haben nicht viel erzählt. Aus diesem Grund ist das
Wissen von Herrn Enz über die Zeit von damals nicht sehr gross.

Herr Enz wäre nicht sehr glücklich, wenn er um 5.00 aufstehen müsste. Er wird am liebsten um 6.30 geweckt, steht dann aber erst ca. um 7.00 auf.

Er hilft gerne ab und zu den Tisch zu decken.

Auch ist er froh, dass es keine reglementierten Bettzeiten mehr gibt. So kann er noch gemütlich fernsehen und geht dann schlafen, wenn er müde ist. Da kann es durchaus auch mal etwas später werden.

Sandra Müggler

 

Antwort vom Erziehungsrat

Man sieht wieder mal, wie einfach es ist von Ferne Gesetzesartikel zuzitieren. Die Kastanien sollen andere aus dem Feuer holen. Die Sorgen und Nöte vor Ort werden mit Sicherheit gar nicht gesehen.

„St. Gallen, am 22. Hornung [Februar], 1847

Der Erziehungsrath Des Kantons St. Gallen, kathol. Konfession

An
Jnspektorat Wyl

Die vom Schulrath von Bronschhofen Rossreuthi an sie eingesante Rechtfertigung d 2.d Mts. Betreffend Entlassung & Ubersetzung von Alltags- & Ergänzungsschülern, gibt uns auch nicht von ferne stichhaltenden Grund diese Entlassung als etwas entschuldbar Geschehenes hingehn zu lassen. Die in den klarsten Gesetzesbestimmungen uns aufgelegte Aintopflicht bewegt uns vielmehr streng alle jene Entlassungen als ungesetzlich zu erklären & streng zu fordern, dass alle vor gesetzlichem Alter in die Ergänzungsschule übersetzten Alltagsschüler oder vom gesetzlichen Schulbesuch dispensirten Kinder in die rehg. Schule zurückgefordert & nach Vorschrift des Gesetzes zum regelmässigen Schulbesuch angehalten werden.

[…] Anbei empfehlen wir Jhnen, diesen Schulrath zur besonderen Wachsamkeit, dem Sie für fernere Vernachlässigung seiner diessfälligen Pflicht ernstere Maassregeln von unserer Seite in Aussicht stellen mögen.

Namens des Erzieh. Rathes Der Präsident Müller

Der Aktuar AlbFarti“

Ein nochmaliger Versuch von Lehrer Osswald. Ob ihm Erfolg beschieden war, wissen wir nicht. Wir nehmen es aber an –schliesslich funktioniert es ja heute… Wie viel Zeit dafür in Anspruch genommen werden musste, können wir nur ahnen.

„Hochwürdiger Herr! Rossrütti 12 März 1847

Wenn ich Wiederum die Feder ergreife, Jhnen zu schreiben, so geschieth diss lediglich im Jntresse der Schule, welcher ich vorzustehen habe.

Der Schulbesuch ist nämlich so ergerlich schlecht, dass es mir schlechterdings zur Unmöglichkeit wird, die nöthigen Fortschritte machen zu können; – ich machte dem Schulrathe desswegen schon die verschiedenartigsten Vorstellungen, allein dessenungeachtet ist energisches Handeln nicht seine Sache & wird es auch nicht leicht werden. – Es sind 2 Subjekte, welche ihre Kinder cà. 3 Wochen absichtlich gar nicht mehr in die Ergänzungsschule schickten. – weil Andere ihres Alters entlassen worden seien. Jetzt kommen sie zwar hie & da wider einmal; alleine eine ernste Zurechtweisung ward ihnen nicht zutheil. Eine Willkühr reisst bei den Eltern ein, die mich oft schon für die Zukunft besorgt machte & wo anders mag die Ursache hievon sein, als in der Lässigkeit unseres Schulrahtes, die je länger je gefährlicher in ihren Helgen werden muss.

Jch bin der sichern Ueberzeugung, das Sie meine Befürchtungen begründet erachten & der Willkühr ein Ziel setzen werden & in dieser Erwartung bleibe mit Hochachtung Jhr

Ganze Ergebener Osswald Lehrer“

StaSG, KA 127 – 2

Renato Kissling

 

Hilferuf von Lehrer Osswald

Im folgenden Brief an den Erziehungsrat schildert Lehrer Osswald seine Probleme mit den vielen Absenzen. Er erhält keinerlei Unterstützung vom Schulrat, obwohl bereits damals gesetzliche Pflicht für den Schulbesuch bestand. Ärger mit den Eltern fürchtend, hätte der Schulrat lieber einen Lehrer gehabt, der die Kontrolle nicht so genau nahm.

„Hochwürdiger Herr! 17. Jan. 1847

Ungerne gebe ich Jhnen hinsichtlich des Wirkens unsers Schulrathes Nachrichten mitzutheilen, die auch Sie nicht freuen können. Dieses Jahr habe ich ernenntlich bei der Ergänzungsschule auffallend schlechten Schulbesuch. – Seit Beginn der Winterschule kommen die 20 Ergänzungsschüler […] mit 77 unentschuldigten Versäumnisshalbtagen auf die Absenzenljsten zu stehen. Dessen ungeachtet fand der Schulrath nicht für gut, einzuschreiten. Jm Wiederholungsfalle zwar lies mann die Nachlässigen vor den Schulrath zitieren. Wenn es dann aber einige Hausväter gab, die behaupteten, (NB. vor dem Schulrath) ich habe der Absenzen zu viele aufgezeichnet, so scheinen die Hochlöblichen Schulräthe es selbst zu glauben & abstuahierten von jeder ernsten Zurechtweisung.

Der Schulbesuch ist daher zur Stunde noch schlecht. Überhaupt habe ich es wahrgenommen, dass Präsident & Schulräthe mit meiner Genauigkeit nicht im mindesten einverstanden sind, & sie mich gerne zu einem Schleicher machen würden.

Anfangs Januar 1.J. würden die Ergänzungsschüler: [4 Namen] von der Schule gänzlich entlassen. Ebenso wurden 2 Schüler des 5. curses in die Ergänzungsschule spediert. – Am 15. Januar wurden sodan abermals entlassen, die Schüler: [weitere 4 Namen] nur mit der Ermanung, das in der Schule Gelernte nicht mehr zu vergessen.

Schliesslich kann ich nicht umhin, Bemerkung zu machen, dass ich mit meiner Schule vom jetzigen Schulrate gar nicht unterstützt bin. Jndem ich der getrosten Hoffnung bin, dass Sie von diesen meinen Beschwerden gefällige Notiz nehmen werden, geharre Hochachtungvollst

Rossrütti 17. Januar, 1847

J P Osswald, Lehrer“

Die Antwort des Erziehungsrates an das Schulinspektorat in Wil ist kurz und bündig
„St. Gallen, am 19. Januar 1947

Wie wir vernahmen, hat der Schulrath von Bronschofen im Laufe des Schuljahrs 1846/47

a) aus dem fünften Kurs zwei Schülerinen, in die Ergänzungsschule übersetzt;

b) folgende Kinder der Schule gänzlich entlassen:
[Aufzählung der Namen]

Jndem wir Sie hierauf aufmerksam machen, laden wir sie ein, von dem benannten
Schulrath Aufschluss zu fordern, warum er diese Entlassungen erteilte, – und für Handhabung der gesetzl. Schulfonguenz gegen bezeichnete Schüler & den Schulrath Nöthiges zu verfügen.

Der Präsident des Erz. = Rathes Müller
Namens des Erz. = Rathes Alb Farti“

StaSG, KA 127-2

Renato Kissling

 

Hilferuf des Schulrates

Im folgenden Brief vom Schulrat kann man in etwa nachvollziehen, welche Stellung ein Lehrer noch im 19. Jahrhundert in der Bevölkerung hatte. Inzwischen ist es ja bereits wieder so, dass eine Lehrkraft keinesfalls ein Schulkind mit „Tatzen“ strafen darf – die Eltern entscheiden eher zu Gunsten des Kindes. Zwischendurch gab es aber durchaus eine längere Phase, in der der Lehrer die unumschränkte Macht in der Schule besass. Überlegungen dazu sind durchaus sinnvoll…

„2. Januar 1845

Der Schulrath der Gemeinde Bronschofen, an Herrn Schulinspektor Pfarrer Müller, in Oberbüren!

Hochverehrter Herr!

Wier finden uns veranlagt, Sie, in nachbeschriebener Angelegenheit um Jhre Weisung, und Jhren Rath anzugehen, indem wier, in dieses uns sehr wichtig scheinende Geschäft, nicht einzuschreiten wagen, ohne Sie dafon in Kentniss zu setzen.

Letzten Montag, betrug sich der Knab des Franz Egli in Rossrütte in dortiger Schule, mit sejnem neben Gespan, so unartig, dass sich der Lehrer veranlasst fand, Sie mereremahl zur Ordnung und Ruhe zu weisen, da aber alle Ermanung nichts half, gab er bejden Schüllern jedem zwej sogenante Dazen, worauf sich oben bemalter Knabe, sogleich auss der Schule entfernte, mit dem Bemerken, dass es den Lehrer nichts angehe, wenn er die ganze Zeit gern schwätze, so habe er kein Recht ihn zu schlagen, er wolle es dem Vatter schon sagen, wo dann derselbe nach wenigen Augenblicken, in die Schulstube Trat, und den Lehrer, ein Schnuderhund, ein Lausbuob, und mehreres andere im Angesicht aller Kinder, und mehreres auf den Lehrer, und die auf das Geschrej derselben,
herbejgeeilten Menner. Auch wahrscheinlich denselben, wenn niemand dazu gekommen, noch misshandlet hette.

Wier fanden ebenfals für gut, dieses Schreiben, durch den Lehrer selbst, an Sie gehen zu lassen, der Jhnen, das geschehene umstendlicher Berichten kann, wier Ersuchen Sie daher tringend, wo möglich umgehend, um Verhaltensbefehle, damit in dieser Sache, die allgemeine Missbiligung findet, nicht Jrrig eingeschriten werde, in welcher Erwartung, unter Vorzüglicher Hochachtung Gewarrnt

Der Präsiden des Schulraths Joh. B. Müller, Bronschofen d. 2t Jenner 1845

Dessen Schreiber Ehrat“

StaSG, KA 127-2

In den folgenden Geschichten, einige Jahre später, sind immer noch Querelen an der Schule vorhanden. Allerdings spielt darin der Schulrat eine durchaus ängstliche Rolle.

 

Der Bezirksarzt, Herr Dr. Wegelin liess im September 1811 folgende Aufforderung an den Gemeinderath des Schneckenbundes ergehen:

„Wohlgeachter Hr Gemeindeamman
Wohlgeachte Herren Gemeinderäthe!

Schon länger als ein Jahr ist die Gemeinde des Schneckenbundes mit einer guten und wohl unterrichteten Hebamme versehen worden in der Personder Frau Helgin von Rossrüti. Ihre Attestate so wohl als die mündliche Versicherung der Sts-Commision, die gründlichen Kenntnisse, welche Sie bey ihrem Examen, dem ich selbst beywohnte, an Tag legte, zeigen sattsam, dass sie diesen Namen sehr wohl verdiene. Ich kenne, so lange sie izt auf ihrer practischen Laufbahn ist, keine Fehler, die sie begangen, wohl aber weiss ich mehrere Fälle, welchen Sie mit eben so viel Glück als Geschicklichkeit vorgestanden, und wo die Gebährende samt ihrem Kinde unter einer andern auch geübten Hand leicht wäre verlohren gegangen oder doch wenigstens übel zugerichtet worden. Wo felt es dann izt, dass vorzüglich der untere Theil des Schneckenbundes Ihr so wenige Zutrauen schencken, und dass man ihr von der ganzen Gemeinde das Wartgeld so die sowohl verdienet, und das ihr noch dazu das Gesetz bestimmet, so willkürlich vorenthaltet?

Ich lade Sie hiemit ein, der billigen Forderung der Hebamme, so wie dem Willen der Stscommission unseres Cantons endlich einmal ein Genüge zu leisten, das Wartgeld zu bestimmen, und solches für das verflossene Jahr ihr verabfolgen zu lassen. Bedencken Sie, dass der Hebammen-Beruf ein würcklich schwerer Beruf ist, besonders in einer Gemeinde, wo es so viele Arme gibt, wo man immer mit Fatalitäten zu kämpfen hat, die der guten Sache im Weege stehen, und dass Sie hier eine Person vor sich sehen, die auch anderswo gesucht wird. Und sollte würcklich der Fall eintretten, dass solche, was ich aber nicht hoffe, durch neue grössere Lockspeisen angereitzet, sich nach einer anderen Gemeinde hinwegbegeben würde, was könnte ihre Gemeinde dabey gewinnen?
Das gleiche Solarium oder ein noch grösseres müssten sie ja auch wieder einer andern
schupfen, und dann würden sie unter 30 und mehr Subjecten vielleicht keines finden so mit den nöthigen Eigenschaften, als wie sie ihre gegenwärtige Hebamme besitzet.

Nehmen Sie mir diese Äusserungen nicht in Uebel, ich spreche hier, wie es meine Pflicht und mein gut gemeinter Wunsch ist. Noch muss ich Ihnen bemercken, dass es in Ihrer Gemeinde einige Weiber gibt, die Gebährenden beystehen, und dieses ist durchaus und strenge verbothen. Haben Sie die Güte, solche vor sich zu laden und Ihnen nochmals den Hebammendienst gäntzlich zu untersagen, damit ich nicht genöthiget seye, solche gerichtlich zur Strafe einzuleiten. Eine gute und ernstliche Warnung hilft oft.

Frauen, welche gerne eine andere Hebamme gebrauchen, dörften sich nur an eine privilegirte wenden,und sind schuldig und pflichtig der Hebamme der Gemeinde den gesetzlich für diesen Fall ihr zuerkannten Gulden zu geben, wen sie nemlich solchen fordern will.

Dies ist was ich Ihnen vorzutragen habe in der Hoffnung, dass Sie meinem Wunsche
entsprechen werden.

Ich bin mit aller Achtung und Freundschaft Xxx“

Quelle:Bibliothek Stadtarchiv Wil
Sandra Müggler

 

Nicht nur für den Schulhauskauf und den Lohn des Lehrers fehlte der Gemeinde das Geld, auch der Hebamme konnte der ihr zustehende Lohn nicht bezahlt werden, wie wir im folgen Bericht hören:

Aus den Physikaktsprotokollen des Districtes Gossau von 1804 – 1832
(lesbar umgeschrieben von Dr. Josef Niederberger)

Der Bezirksarzt, Herr Dr. Wegelin, schreibt in seinem Rapport an das Staatscollegium:

„12.
[…] in Betreff des 1ten Punckts. Es haben alle Gden [Gemeinden] unterrichtete Hebammen, nur Oberbeuren und Andwyl nicht. 2ter Punckt. Die Hebammen haben noch das gleiche Wartgeld, wie auf der Liste von Anno 1808 zu ersehen. Eine Hebamme in Niederbeuren nahme das Wartgeld gar nicht an, weil es ihr zu wenig und die andere Hebamme daselbst habe es zwar angenohmen, seye aber auch nicht damit
zufrieden. Die Hebamme Helgin hat noch kein Wartgeld erhalten trotz mehreren gemachten Anforderungen desswegen. 3ter Punckt. Ueber Befolgung der Hebammenordnung wird nichts einberichtet, auch so über den 4ten Punckt. Nur macht Hr Geher in Waldkirch noch die Anzeige, dass die Hebamme in Niederbeuren gar nicht beliebt seye.

13.
Frau Helgin, Hebamme des Schneckenbundes, beklagt sich heute wieder, dass man ihr das von Seite der Gemeinde schuldige Solarium zu geben weigere, dass es itz über ein Jahr seye, seit sie dem Hebammenberuf mit Treue und Fleiss vorgestanden, und dass Sie genöthiget seye in eine andere Gde zu ziehen, wen man es ihr ferner verweigere. Zudem seye sie immer den Armen unentgeltlich vorgestanden, habe den gesetzlichen Gulden niemals verlanget usw. Die Bronschhofer wollen Sie gar nie gebrauchen. Ich versprach mich dafür zu verwenden […]“

Quelle: Bibliothek Stadtarchiv Wil

 

Folgende zwei interessante Bericht stammen aus den Physikaktsprotokollen des Districtes Gossau von 1804 – 1832
(lesbar umgeschrieben von Dr. Josef Niederberger)

3. März 1809
„Bericht wegen dem in Rossrütti herrschenden Frieselfieber

Ich zeige Ihnen hiemit an, dass Joanes Hug Vieharzt von Rossrütti noch immer fortfahre im Stillen innerlich und äusserlich zu practicieren. Die Behandlungsart seiner Patienten ist mir gäntzlich unbekannt, obschon ich öfters darauf laurte. Auf mehreres Nachfragen gehen sowohl Ärzte als andere Leuthe mir immer wieder ab der Hand.

In Rossrütti eine Viertelstunde von hier herrschte bey lezter schöner eingehender Frühlingswitterung ein sehr bösartiges Frieselfieber. 3 Mannspersonen wurde vorzüglich starck damit befallen, von denen der erste, der einen Pfuscher gebrauchte, zwischen dem 2ten und 3ten Tag starb. Die übrigen Krancken waren minder gefährlich. Einige brauchten Hr Dr. Angehrn, einige mich. Die Vorbothen waren immer etwas Halswehe. Bey meinen Patienten tratt die Kht plötzlich mit heftigen Convulsionen, Beraubung alles Verstandes und der Sprache ein. Die Mattigkeit und Hitze waren ausserordentlich, leztere brennend beym Anfühlen, der Puls klein und langsam. Der Körper lag in einem beständigen klebrichten und sauer riechenden Schweisse. Den 2ten Tag m die Mittagszeit liesen bey meinem Krancken die Convulsionen nach, er kehrte wieder zu seinem Bewusstsein zurücke, aber nicht zur Sprache. Auf Anfragen klagte er Schwindel, Ohrensausen, Flitter vor den Augen, flüchtige Stiche auf der Brust, die Respiration ware erschweret. Nach 1½ Stunde tratten alle Symptome wieder mit vermehrter Heftigkeit ein. Die Halsentzündung ware ausserordentlich starck, der Krancke konnte abends den 3ten Tag nicht mehr schlingen, die Respiration ware kurz und röchelnd, man erwartete den Tod. – Ein grosses
Vesicatorium auf die Brust, Synapihmen auf beyde Fusssohlen, äusserlich Einreibung
ex Linimento vol. Camph, Umschläge aller Art, innerliche Klystiere aus Valerian Sylv c Laudans, im Anfange Mixt ex Inf. Valer. Sylv mit __ Miedereri, später Inf. Serpent. virg cum Napht. Eli und L.cc hnee retteten den Krancken, in der Nacht tratt ein Frieselausschlag hervor und mit diesem Besserung, Linderung aller Symptomen.“

Bibliothek Stadtarchiv Wil


Stellen wir uns vor: beim letzten schönen Frühlingswetter vor 195 Jahren, hier bei uns im Dorf Rossrüti erkrankten einige Leute an diesem Fieber. Von den Schulprotokollen wissen wir, dass die Bevölkerung oft nicht genug zu essen hatte. Also waren sicherlich viele Menschen am Ende des Winters in einem schlechten Ernährungszustand und somit sehr anfällig für Krankheiten.

Sandra Müggler

 

„Rapport über den Zustand der Schulen des Districts Gossau [damals mit Wil] vom Jahre 1810 dem Erziehungsrate vorgelegt [Datum] von Erziehungsrat Blattermann

Rössrüthi hatte bis izt [jetzt] noch immer kein eigenes Schulhaus, nicht einmal eine eigene Schulstube: das Zimmer, das bisher zum Schulhalten gebraucht wurde, war für die Anzahl der Schulkinder zu klein. Um den Mangel abzuhelfen, gingen ein ….. zwei der reichsten Gemeinderäthe hin, kauften sich ein Haus, in der edlen Absicht: dieses Haus der Gemeinde um einen sehr billigen Preis zu einem
Schulhaus zu überlassen.“

StASG: KA 126 – 2

 

Geldmangel war in jener Zeit ein grosses Problem, speziell beim „Landvolk“.
Im Dezember des Jahres 1813 schrieben die Schulräte von Rossrüthi einen Brief an:

„Hochwürdiger Herr Pfarrer!

Hochzuverehernder Herr Schulinspektor!“

[…] Denn der allgemeine aus Verdienstlosigkeit entstehende Geldmangel ist wegen der unseren Dorf- und Gegendbewohner besonders drückend. Armut läge noch fühlbarer und dasjenige, was ein Hausvater noch kümmerlich aufbringen kann, muss ja für die Abgaben, für Zinse, für die dringendsten häuslichen Bedürfnisse verwendet werden, so dass ihm nichts übrig bleibt und sehr viele sich mit neuen Schulden belasten müssen. […]

Der Schulrat schreibt dem Schulinspektor einen langen ausgeschmückten Brief. Erst nach
mehrmaligem Lesen wurde uns klar: der Schulrat hatte Schwierigkeiten, die Schule zu bezahlen.

Er erklärt dann: „[…] Wir glauben auch bisher nach unseren Kräften den bestehenden Schulgesetzen Genügen geleistet zu haben. Wir haben dem Lehrer das gesetzliche Gehalt gegeben, ein Schulhaus mit mehr als 400 [wahrscheinlich Gulden] gekauft, versehen es mit dem nötigen Brennholz und innerlichem Bedarf. Zwar hat die der Bewohner ganz eigene Armut die Bezahlung des Schulhauses noch nicht möglich gemacht, […]“

Auch wird ersichtlich, dass durch den Mangel im Fond „[…] der Unterhalt des Lehrers, sowohl als der Schulbedürfnisse meistens aus unserer Mitte muss bestritten werden […]“

Das heisst die Schulräte bezahlten Lehrer und Unterhalt grösstenteils aus dem eigenen Portemonnaie.

60 Kinder besuchten in diesem Zeitraum die Schule.

StASG: KA 126-2

Sandra Müggler

 

„Ansuchen, dem Schulmeister Egli in Rossreuthy ein Stück Boden zur
Benutzung zu überlassen“ (2. Teil)

Wie wir letztes Mal berichtet haben, geht es in diesem Protokollauszug des Regierungsrates aus dem Jahre 1804 um ein Stück Land, das der Schulmeister Egli in Rossreuthy von der Gemeinde zurück haben will.

Der Regierungsrat erwägt folgendes:
…, dass sich die Gemeinde überlegt hat, dem Schulmeister das ehemals schon zur Benutzung zugeteilte Land wiederum zu überlassen; mit der Verpflichtung die Schule 20 Wochen nacheinander abzuhalten. (Wahrscheinlich immer noch nur sonntags).

…, dass das ohnehin schon geringe Salarium (Salär) des Schulmeisters verbessert wird.

…, dass die Verbindlichkeit, 20 Wochen lang nacheinander Schul zu halten, dem Nutzen
der Schulkinder gereiche.

und beschliesst dann:

„[…] wird beschlossen:

Es solle dem Schulmeister Egli mehr ermeltes [genanntes, vermerktes] Stück Boden gegen die vorermelte Verbindlichkeit, die Schule während 20 Wochen ununterbrochen abzuhalten, ganz zur Benutzung überlassen seyn, jedoch mit dem deutlichen Vorbehalt, dass der Regierung jederzeit frey stehe, bemeltes Stück Boden hinwiederum an sich zu ziehen, und nach ihrem Belieben darüber zu disponieren, worüber auch die Gemeinde Rossreuthy ein Revers zu handen der Regierung auszustellen gehalten seyn solle.

StASG: Protokolle des Regierungsrates 20.3. 1804 / Nr. 604“

Die Originalprotokolle sind von Hand in alter deutscher Kanzleischrift geschrieben.
Sandra Müggler

 

„Ansuchen, dem Schulmeister Egli in Rossreuthy ein Stück Boden zur Benutzung zu überlassen.

Der Erziehungsrat des Cantons St. Gallen macht die Anzeige, dass dem Bürger Egli,
Schulmeister in Rossreuthy von dem ehemaligen Hof zu Wyl ein Stück Boden zur Benutzung und Vermehrung seines sonst geringen Gehalts zugetheilt, nun aber ihm die Hälfte wiederum entzogen worden seye, und suchet an, die Regierung möchte Verfügung treffen, dass dem Bürger Egli, dessen Gehalt ohnehin gering seye, besagtes Grundstück wiederum gänzlich zur Benutzung überlassen werde.“

StASG: Protokolle des Regierungsrates 31.1.1804 / Nr. 211


Der Schulmeister Egli hatte ein Stück Land erhalten, um sein geringes Gehalt zu verbessern. Die Hälfte davon hatte man ihm aber wieder entzogen.

Der Erziehungsrat machte diese Anzeige an den Regierungsrat am 31. Januar
1804. Am 20. März desselben Jahres erscheint dieses Ansuchen wieder in den
Protokollen des Regierungsrates.


Wie es sich gehört, hat die „Finanz Comission“ ihren Rapport darüber abgegeben:

„[…]- dass ehemals der Stadthalter in Wyl bemeltem [besagtem] Schulmeister zwey Mannsmad
[altes Flächenmass] unebenes Stück Boden gegen die Obliegenheit an Sonn- und Feyertagen Schul zu halten, zur Benutzung überlassen habe, als aber hierüber ein Streit mit der Gemeinde, welche obiges Stück Boden selbst benutzen wollte, entstanden seye, […]“

StASG: Protokolle des Regierungsrates 20.3.1804 / Nr. 604

Wir hören in diesem Bericht, dass nur an Sonn- und Feiertagen Schule gehalten wurde und dies nicht einmal das ganze Jahr, wie später dann bemerkt wird.

 

Schule um 1800

Um den Anfängen einer Schule in Rossrüti auf den Grund zu gehen, stöberten wir einen
Tag im Staatsarchiv des Kantons St. Gallen.

Die erste Erwähnung einer Schule in Rossrüti fanden wir in den Schulakten des Kantons Säntis in der Zeit der Helvetik (1798-1803). In einem Antwortbogen in Tabellenform waren verschiedene Aussagen zu Rossrüti vorhanden.

„Als Ursache für diese „Umfrage“ müssen wir die Zeitumstände sehen: Nach dem 1798 erfolgten Einmarsch der Franzosen, und der darauf folgenden Proklamation der Helvetischen Republik, kam es zur Gründung des Kantons Säntis, der den ganzen Nordteil des heutigen Kantons St. Gallen (mit beiden Appenzell) umfasste. In diesem neuen Staatswesen mussten sich die Beamten zuerst einmal über die genauen Verhältnisse in ihrem Herrschaftsgebiet klar werden, so auch über das Schulwesen, welches aufgrund der Ideen der Aufklärung eine wichtige Stellung im neuen Staatsgebilde einnahm Aus diesem Grund mussten, wie heute übrigens auch noch, Daten über die Infrastruktur erhoben werden, wobei dies im Falle der Schulen auf dem Weg einer Umfrage („Enquête“) an die Lokalbehörden geschah.

Auskunft von Patric Schnitzer, Staatsarchiv St.Gallen

 

„Freiheit und Freiheiten (10.-11.Jahrhundert.)

Das althochdeutsche Wort (frîhéit) ist erstmals in einer Übersetzung des Sankt-galler Mönchs Notkers des Deutschen (um 950-1022) belegt. Zwei Bedeutungen von Freiheit standen im Denken des frühen und hohen Mittelalters im Vordergrund. Als umfassender, philosophischtheologisch begründeter Zustand war die Freiheit Gegenstand von Erörterungen der Willensfreiheit und Prädestination des christlichen Menschen. Diese Diskussion beschränkte sich auf die Welt der geistlichen Gelehrten. Als rechtlich-soziale Situation umfasste Freiheit ein Bündel bestimmter Freiheiten, zu Beispiel frei zu sein von Herrenrechten unterhalb des Königtums, von persönlichen und güterrechtlichen Bindungen oder von Abgabenlasten.

Die Zahl der Freien variierte regional. In den Sankt-Galler Urkunden, die Personen in ganz
Alamannien betrafen, treten viele kleine Landbesitzer auf, die frei über ihr Gut verfügten. In den östlichen und nördlichen Gebieten des Reichs waren Freie dagegen weniger häufig. Von Bedeutung war auch die Freiheit der Kirche. Sie spielte bei der Gewährung der Immunität als Freiheit der Klöster sowie in Investiturstreit als Freiheit des Papsttums eine Rolle. Nicht zuletzt war die Freiheit des Klerus eine Voraussetzung für die Entwicklung von Abteien wie St.Gallen, Pfäfers und Schänis zu Adelsklöstern.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 215

 

Unfreiheit aus Sicht der Kirche (8.-10. Jahrhundert)

Nach der christlichen Lehre waren alle Christen vor Gott gleichwertig. Da Kirchen, Klöster und Weltpriester jedoch selber Unfreie besassen, wurde die Knechtschaft von den spätantiken Kirchenvätern und frühmittelalterlichen Lehrern theologisch gerechtfertigt. Der Mensch habe durch den Sündenfall seine natürliche Freiheit verloren. Manche gingen noch weiter und meinten, für schlechte Menschen sei die Knechtschaft nötig, um sie zu zügeln. Nach einem kirchlichen Grundsatz durfte kein Kircheneigentum weggeben werden – dies schloss die Leibeigenen mit ein. Viele Konzilsbeschlüsse aus dem 6. und 7. Jahrhundert bestätigten dieses Verbot. Es gab deshalb kaum Freilassungen durch die Kirche. Sie bewirkte jedoch Verbesserungen zum Wohl der Leibeigenen wie das Verbot der willkürliche Tötung und Recht auf Ehe. Überdies wurden Eigenleute unter kirchlichen Herren wohl besser gehalten als unter weltlichen.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 217

gekürzter Text aus Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1, Frühzeit bis Hochmittelalter, Autoren: Regula Steinhauser, Willi Schoch, Alfred Zangger“

 

Die Organisation der Landwirtschaft.

Die Gesellschaft des frühen Mittelalters war von der Land- und Waldwirtschaft geprägt. Fast alle Menschen waren Landwirtschaftlich tätig, praktisch alle vom Ertrag des Bodens abhängig. Träger dieses Wirtschaftssystems waren freie Bauern, sowie wenige mächtige Besitzer von Land und Leuten. Im Verlauf des 10./11. Jahrhunderts verschob sich das Gewicht stark zugunsten dieser Mächtigen aus Königtum, Adel und Kirche, die ihre Güter als Grundherren mittels Unfreier bewirtschafteten. Die Klassische Grundherrschaft war zweigeteilt. Das Landseines Herren. Oder Fronhofs liess der Grundherr durch Hofhörige bebauen. Dazu kommen abhängige Bauernhöfe in der Umgebung, so genannte Hufen oder Mansen, auf denen unfreie Hufenbauern mit Familie und Haushalt lebten. Diese arbeiteten vor allem auf ihren eigenen Hufen (Höfen), in Umfang- oder Zeitmässig festgelegten Diensten aber auch für den Herrenhof. Von ihrem Eigenertrag leisteten sie zudem Abgaben an den Grundherrn. Mit dem System der zweigeteilten Grundherrschaft konnte der Grundherr die Zahl der Hofhörigen, die er unterbringen und verpflegen musste, niedrig halten, die Hufenbauern hatten den Anreiz einer selbstständigern Wirtschaftsführung im Rahmen ihrer Familie. Kirchliche Grundherren erhielten weitere Arbeitskräfte dadurch, dass ihnen freie Bauern ihre Güter zum eigen Schutz und Seelenheil schenkten, dieselben Güter als Lehen wieder empfingen und dafür neben
Abgaben auch Arbeits- und Transportdienste leisteten.

Die Alamannengesetze waren weit gehend auf die Mächtigen und die übrigen Freien
ausgerichtet und vermitteln ein Bild von herrschaftlichen Hofverbänden, die mit Unfreien
bewirtschaftet wurden. Die Haupthöfe enthielten ein herrschaftliches Wohnhaus mit
Wirtschaftsgebäuden für Ackerbau und Viehhaltung. In den Höfen konnte alles selbst
hergestellt werden, von der Nahrung über Kleidung bis zu Waffen und Schmuck. Aus den
Sankt-Galler Urkunden und dem Reichsgutsurbar geht die Verbreitung der zweigeteilten
Grundherrschaft in der Nordostschweiz hervor, wobei Struktur und Ausdehnung der
einzelner Besitzkomplexe aus den Urkunden oft nicht zu erkennen sind.

Die einzelnen Höfe frühmittelalterlicher Grundherrschaften lagen oft weiträumig verstreut,
was organisatorisch Probleme verursachte. Könige und Hochadlige lösten diese Probleme
durch die Reiseherrschaft. Sie oder ihre Vertreter besuchten ihre Pfalzen und anderen
Haupthöfe in regelmässigem Turnus und verbrauchten die ihnen zustehenden Erträge an
Ort und Stelle. Dies kommt im churrätischen Reichsgutsurbar zur Sprache, wonach die Höfe reisende Königsbeamte zu versogen hatten. Oder beim Bischofshof Bohlingen bei Radolfzell, dessen Verwalter vom Konstanzer Bischof Salomo II (875-889) angewiesen wurde, einen durchreisenden Kleriker als Gast aufzunehmen.

Klösterliche Grundherren strebten andere Lösungen an. Die Abtei St.Gallen erhielt im
9. Jahrhundert aus teilweise weit abgelegenen Orten Naturalien, die für den Unterhalt der
rund 100 Mönche und 200 Bediensteten hergebracht werden mussten. Bis zum Beginn
des 9. Jahrhunderts dominierten in den Schenkungen die Naturalzinsen, die dann aber immer mehr durch Geldzinsen abgelöst und in einigen Gebieten nördlich des Bodensees von diesen sogar ganz verdrängt wurden. Für die nächste Umgebung des Klosters wird die
Eigenbewirtschaftung eines Zentralhofs vermutet, weil das Klostergesinde sehr zahlreich
war und in unmittelbarer Klosternähe keine Schenkungen zu verzeichnen sind. Bei
grösserer Besitzkonzentration wurden Fronhofsverbände gebildet, so etwa für die
Einzugsbereiche von Wattwil, Gossau oder Oberbüren, hier wurden Abgaben und
Arbeitsdienste geleistet. Als Zinssammelstellen konnten auch die dem Kloster inkorporierten Kirchen dienen, die somit auch wirtschaftliche Aufgaben erfüllten. Ab dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts tätigte die Abtei immer mehr Tauschgeschäfte, durch die sie ihre Güter in bestimmten Siedlungen konzentrierte, in anderen abstiess. Dass sie ihren Besitz schon in dieser Zeit grossräumig abzurunden versuchten, ist dagegen nicht zu belegen.

Für die Kontrolle der Einnahmen bedurfte das Kloster St.Gallen einer Verwaltung mit geistlichen und weltlichen Amtsträgern. Vom ausgehenden 8. Jahrhundert an wurden die Besitzurkunden im Kloster archiviert, im 9. Jahrhundert dann 35 Kapiteln zugeordnet und auf der Rückseite entsprechend beschriftet. Diese Kapiteleinteilung folgte geografischen Gesichtspunkten und stimmte oft mit dem Einzugsgebiet von Fronhöfen oder dem Wirkungskreis der Vögte überein. Die Klosterverwaltung änderte sich mit der Zeit. Etwa bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts reiste der Abt oder der Propst wie ein adliger Grundherr von Ort zu Ort, bisweilen von lokalen Geistlichen als Schreibern unterstützt. Zur Straffung der Verwaltung in entfernteren Gebieten setzte Abt Grimald (841-872) ortsansässige geistliche Aussenpröpste ein.

Die innere Klosterökonomie war in drei Bereiche eingeteilt, die zum Teil aus der
Benediktsregel hervorgehen und en Bedarf des Abts, des Mönchskonvents und aller Nichtkonventualen zu decken hatten. Über allem stand der Abt, der auch für das
materielle Wohlergehen des Klosters verantwortlich war. Einige Äbte des 9. und
10. Jahrhunderts setzten sich sehr aktiv für die wirtschaftliche Organisation und die Mehrung des Besitzes ein. Unabhängig vom Kloster führte der Abt eine eigenen Haushalt. Bei Entscheidungen, die das gesamte Kloster betrafen, brachte er jedoch die Zustimmung des Mönchskonvents. Für das leibliche Wohl der Mönche war der Dekan verantwortlich, für
ihre Ernährung der Speisemeister, für ihre Kleidung der Kämmerer und für Bauaufgaben
der Werkdekan. Der dritte Verwaltungsbereich, mit dem sich vor allem der Pförtner und er
Spitalmeister befassten, betraf die Besucher, Pilger und Hilfsbedürftigen. Andere Klöster
dürften ähnliche Strukturen gehabt haben, doch weist St.Gallen die beste Quellenlage auf.
Im Vergleich mit anderen Institutionen des frühen Mittelalters entwickelten die Klöster effiziente und über Jahrhunderte hinweg konstante Verwaltungen mit einem hohen Mass an Schriftlichkeit.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 227-229

 

Produkte und Produktionsweisen der Landwirtschaft

(8.-10. Jahrhundert.)

Die landwirtschaftlichen Produktion war auf den Getreidebau und die Viehwirtschaft
ausgerichtet. Gemäss den Quellen des Klosters St.Gallen lasteten Getreideabgaben
auf praktisch allen urkundlichen erfassten Gütern im Kantonsgebiet, vorwiegend in Lagen
unterhalb von 650m, teilweise aber auch für über 900m ü. M. Die meisten der damals
genutzten Böden eigneten sich für den Getreideanbau. Zudem folgte um 750 einer kälteren Periode ein bis um etwa 1300 währendes Klimaoptimum mit warmen Sommern, deren Durchschnittstemperaturen selbst über denjenigen des 20. Jahrhundert lagen. Auch strenge Winter waren damals weniger häufig als in den folgenden Jahrhunderten. Trotzdem dürfte der Ackerbau in mehreren Regionen wie dem Toggenburg und südlich des Ricken mit witterungsbedingten Risiken behaftet gewesen sein. Archäobotanische Untersuchungen nördlich des Bodensees zeigen eine starke Intensivierung des Ackerbaus und eine Zunahme der Siedlungen ab dem 8. Jahrhundert; Letzteres lässt sich auch in der Nordostschweiz beobachten. Für die wachsende Bevölkerung wurde zweifellos auch die
Anbaufläche erweitert.

Anstelle von bestimmten Fruchtsorten nennen die Sankt-Galler Urkunden und das
Reichsgutsurbar meist einfach Korn als Abgabe. Wenige Male werden ausdrücklich Weizen,
Dinkel und Hafer erwähnt. Genaueres vermittelt die Archäobotanik: Auf dem Ochsenberg
in Wartau wurde ein Getreidevorrat mit Emmer, Gerste, Ackerbohnen und Erbse gefunden.In Süddeutschland wurden Gerste, Hafer, Dinkel und Hülsenfrüchte (vor allem Linsen) als Hauptsorten angepflanzt, dazu geringe Mengen an Roggen, Nacktweizen, Einkorn, Emmer und Rispenhirse. Im Verlauf der Merowingerzeit nahm der Weizen deutlich zu. Die Verhältnisse in der Nordostschweiz dürften ähnlich gewesen sein. Als weitere Kulturpflanze kam noch Flachs dazu, eine begehrte Öl- und Faserpflanze. Für die Nordostschweiz ist der Flachsanbau nur indirekt durch die Verarbeitung zu Leinen bezeugt. Unter den Anbautechniken dürfte die Feldgraswirtschaft überwogen haben: Auf ein und derselben Nutzfläche lösten sich der Ackerbau und die Nutzung als Wiese oder Weide in einem mehrjährigen, mehr oder weniger regelmässigen Turnus ab. Für die Nordostschweiz und für Vorarlberg gibt es auch einige wenige Hinweise auf eine Dreifelderwirtschaft: ein dreijähriger Zyklus von Wintergetreide, Sommergetreide und Brache auf den Ackerfluren eines Bauernhofes. Obwohl die Dreifelderwirtschaft im frühen Mittelalter auf den Klostergütern und königlichen Domänen bekannt war, setzte sie sich erst im Hochmittelalter und nur auf intensiv genutzten Flachlandböden durch. Es ist anzunehmen, dass verschiedene Anbauformen nebeneinander zur Anwendung kamen, wobei eine Mehrfelderwirtschaft mit Rotation eine Möglichkeit, aber nicht die Regel war. Der früh- und hochmittelalterliche Ackerbau litt an Düngerknappheit , weil es, gemessen an der Ackerfläche, zuwenig Rindviehhaltung gab. Auch die wenigen Flächenangaben zu einzelnen Höfen zeigen ein starkes Übergewicht der Äcker gegenüber den Weiden. Rindermist war deshalb ein begehrtes Produkt. Sicher gab es wegen des Düngermangels wie in Süddeutschland auch im Sankt-Galler Gebiet Felder, die urbar gemacht, während einiger Jahre angebaut und danach wieder der Natur überlassen wurden, um sich zu erholen – die Landreserven reichten für diese als Egartenwirtschaft bezeichnete extensive Nutzung aus. Des weiteren wurde auch die Aschedüngung durch Brennen der wilden Flora praktiziert. Brandrodungen sind für das Rheintal und das Linthgebiet belegt.

An landwirtschaftlichen Geräten werden in den Quellen vor allem Pflug und Egge genannt.
Im Gebiet der römischen Provinz Raetia war seit der Antike der schwere Beetpflug mit
Radvorgestell bekannt, dessen Pflugschar die Scholle wendete, der jedoch eines kräftigen
Zuggespanns von mehreren Ochsen bedurfte. Verbreiteter war deshalb bis ins Hochmittelalter der einfache, leichtere Hackenpflug, der den Boden aufriss und lockerte, aber nicht umbrach. Womöglich waren auf grösseren Höfen mit schweren Talböden Beetpflüge in Gebrauch, auf kleineren Gütern mit leichteren, aber ertragsärmeren Hangböden Hakenpflüge. Die Abtei St. Gallen erhielt im 9.Jahrhundert als Abgaben auch eiserne Pflugscharen, die jedoch nicht einem bestimmten Pflugtyp zugeordnet werden können. Kleinere Grundstücke und Gärten wurden mit der Hacke bearbeitet. Aus Churrätien gibt es Belege für Sicheln, mit denen das Getreide geerntet wurde. Als Transportmittel erwähnen die Urkunden und Almannengesetze zwei- und vierrädrige Karren.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 229-231

 

Produkte und Produktionsweisen der Landwirtschaft.

Der zweite Pfeiler der frühmittelalterlichen Landwirtschaft war die Tierhaltung. Im
alamannischen Gebiet dominierte ursprünglich die Viehwirtschaft, die einer
umherziehenden Bevölkerung besser entsprach als der Ackerbau. Dies kommt in den
Alamannengesetzen noch im 8. Jahrhundert zum Ausdruck, obwohl sich damals bereits
der Ackerbau ausbreitete. In den Sankt-Galler Urkunden spiegelt sich dann die untergeordnete Rolle der Viehwirtschaft wider. Schweine waren häufige Abgaben an das Kloster. Das Hausschwein war schon lange bekannt, wurde jedoch erst durch die alamanische Einwanderung zum wichtigsten Fleischlieferanten. Aus den vielen Erwähnungen im Reichsgutsurbar zu schliessen, hatte sich diese Gepflogenheit im 9. Jahrhundert auch im Rätischen Kulturkreis etabliert.

Eine wichtige Rolle spielten die Schaf- und Rinderzucht für das in den Skriptorien
verwendete Pergament aus der Haut von Schafen, Lämmern und Kälbern. Ebenso oft
werden Hühner als Abgaben erwähnt. Dies zeigt ihre Bedeutung für die bäuerlichen Betriebe aber auch für die klösterliche Ernährung. Nach der milden Auslegung der Benediktsregel durfte Geflügelfleisch gegessen werde, zudem war der Konsum von Eiern auch ausserhalb der zwei vorgeschriebenen Mahlzeiten erlaubt. Die Haltung von Rindern, Schafen und Ziegen ist vielfach nur indirekt aus Erwähnungen von Weiden, Alpen und der Produktion von Heu zu erschliessen. Die Alpwirtschaft war ein fester Bestandteil der Landwirtschaft Churrätiens und somit auch des heute sankt-gallischen Teils von Unterrätien. Die Nutzung von Hochweiden ist im Sarganserland und in den östlichen Teilen der Churfirsten- und Alpsteinregion aufgrund zahlreicher voralamannischer Alpnamen sowie archäologischer Spuren auf Selamatt im obersten Toggenburg anzunehmen. Belege aus dem alamannisch besiedelten nördlichen Kantonsgebiet sind dagegen rar. Von der Bewirtschaftung ist wenig bekannt – es wird vermutet, dass auf den Alpen wie im benachbarten Vorarlberg und im Vorderrheintal vor allem Kleinvieh gesömmert und Käse hergestellt wurde. Von Bedeutung war auch die Zucht von Reitpferden, die beispielweise für das Kloster St. Gallen nachgewiesen ist. Ein wichtiger Bestandteil der Ernährung war Fisch, nicht nur als Fastenspeise, sondern übers ganze Jahr und besonders in den Klöstern, die das Fleischverbot befolgten. Einerseits stammte er
aus den Seen, Flüssen und Bächen, wo auch mit Reusen gefischt wurde. Anderseits wurde
er in speziellen Teichen gezüchtet. Diese Fischzucht findet sich in erster Linie in Unterrätien entlang der Füsse. Belegt ist auch die Haltung von Bienen für die Gewinnung von Honig und Wachs.

Die Schenkungen, Güterverzeichnisse und Gesetze vermitteln nur ein ungenaues Bild
von der quantitativen Verteilung der Nutztiere. Aus Süddeutschland liegen Auswertungen
von Siedlungsfunden und Grabbeigaben vor: Den Toten wurden vorwiegend Stücke von
Schwein und Huhn beigegeben; an dritter Stelle folgten Beigaben von Rindern, Schafen
und Ziegen. Zeitlich lässt sich im 7. Jahrhundert eine starke Zunahme der Schweine
gegenüber Rinderbeigaben feststellen. Unter den Siedlungsfunden dominierte das Rind,
was vermutlich auf dessen häufige Verwendung als Zugtier hinweist. Mit rund zehn
Prozent Pferdeknochen ist auch die Pferdehaltung gut dokumentiert. Schlachtabfälle
und Speisereste aus der frühmittelalterlichen Siedlung auf dem Ochsenberg bei Wartau
lassen dagegen darauf schliessen, dass im 7. Jahrhundert mehrheitlich Schafe und Ziegen,
häufig auch Rinder und Schweine, seltener Hühner und nur vereinzelt Wildtiere
(Hirsch, Bär) geschlachtet und verzehrt wurden.

Die Waldnutzung war eng mit der Landwirtschaft verbunden. Der Wald diente nicht
bloss als Rodungsgebiet, sondern lieferte auch Bau- und Brennholz, Wildtiere und –früchte. Wichtig war er zudem als Schweineweide und als Futterlieferant für andere
Nutztiere – Wald – und Weideflächen liessen sich oft nicht klar trennen. Entgegen
älteren Vorstellungen von einer grossen mitteleuropäischen Waldlandschaft mit wenigen
Siedlungsinseln zeigen Pollenanalysen aus dem westlichen Bodenseegebiet, dass hier
der Boden im frühen Mittelalter nur zu einem Drittel bewaldet war. Nach dem Rückzug
der Römer nahm die Verwandlung zuerst zu, sie ging dann aber durch Rodungen bis 750 stark zurück. Diese Resultate können zwar nicht auf die ganze Nordostschweiz übertragen werden, jedoch dürften die Ränder der grossen Flusstäler, die Seeuferzonen sowie das Altsiedelland in Unterrätien schon vor dem mittelalterlichen Rodungsphasen manchenorts waldfrei gewesen sein. Die grossen Flussebenen waren zum Teil von Auenwäldern bedeckt, im mittleren Lagen herrschte ein lockerere , mit Unterholz und Lichtungen durchsetzter Mischwald vor, und in grösseren Höhen überwogen Nadelwälder. Aufgrund der Klimagunst lag die Waldgrenze 250m höher als heute.

Die Bedeutung des Waldes tritt aus den Quellen in unterschiedlicher Weise hervor: Die
Heiligen von Gallus und Kolumban strichen aus hagiografischen Gründen die Wildheit und
Unzugänglichkeit der grossen Wälder um das Jahr 600 heraus. Dass im frühen und hohen
Mittelalter zahlreiche Waldstücke gerodet wurden, belegen viele Flurnamen und auch einige urkundliche Nennungen von Neubrüchen. Wie sich das Kloster St. Gallen vom 8. bis zum 10. Jahrhundert aktiv um Waldnutzungsrechte bemühte, kommt in ausführlichen
Vertragsbestimmungen zu Wäldern zum Ausdruck.

Ackerbau und Viehwirtschaft wurden auch durch Sonderkulturen ergänzt: Weinbau sowie
Garten- und Obstkulturen. Das Kloster St. Gallen hatte einen grossen Eigenbedarf an
Wein und förderte den Rebbau; es besass ausgedehnte Weinberge im Markgräflerland
und im Breisgau. Das klassische nordostschweizerische Anbaugebiet lag in Unterrätien,
wo das Kloster Pfäfers an den Hängen des Rheintals einige Rebgüter besass. Doch
auch im alamannischen Gebiet wurden Reben angepflanzt, vorzugsweise entlang des
Bodensees und im Unterrheintal, wo beispielsweise in Berneck im 9.Jahrhundert Rebbau
bezeugt ist. Die Warmphase begünstigte den Anbau selbst in Gegenden, die heute als
dafür ungeeignet gelten. Der Wein konkurrierte im nördlichen Kantonsteil mit der
Bierproduktion, die dort immer noch vorherrschend war.

Garten- und Obstkulturen gehörten zu vielen bäuerlichen Gütern im Kantonsgebiet. Die
Sankt-Galler Urkunden geben aber keine Auskunft über die darin angebauten Sorten; in
Churrätien werden Äpfel und Nüsse als Abgaben erwähnt. Aus dem Klösterlichen Bereich
gibt es Aufzählungen von angebautem Gemüse und Kräutern sowie Obstsorten, so etwa auf dem Sankt-Galler Klosterplan. Diese Listen werden meist als gelehrte Aufzählungen eingestuft, weil sie mit ähnlichen Verzeichnissen aus der Spätantike und den karolingischen Kapitularien übereinstimmen. Neue archäobotanische Untersuchungen aus Süddeutschland zeigen jedoch, dass viele Gemüse- und Gewürzpflanzen aus den klösterlichen Listen im 8. Jahrhundert tatsächlich angebaut wurden. Ob alle erwähnten Pflanzen wirklich in St.Gallen vorkamen, lässt sich nicht feststellen. Ein reicher und vielfältiger Klostergarten liegt jedoch durchhaus im Bereich des Möglichen. Ekkehard IV. erwähnt unter anderem Erbsen, Bohnen, Hirse, Rettich, Zwiebeln, Kohl, Lauch, Knoblauch, Kürbis, Lattich und Salat.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 231-235

 

Kunst, Bildung und Wissenschaft

Bei den Kunsthandwerklichen Erzeugnissen gab es neben den importierten Luxuswaren
in den grossen Klöstern und Höfen der Oberschicht auch eine einheimische Produktion.
In St.Gallen wirkten vor allem im 9. und 10. Jahrhundert mehrere kunstfertige Mönche.
Neben der bedeutenden Herstellung prachtvoller Manuskripte und Buchmalereien führten
Mönche auch Goldschmiedearbeiten, Malereien, Elfenbeinschnitzereien, Glasverarbeitung
und Bauvorgaben aus. Von diesen Arbeiten sind ausser den Büchern nur noch wenige
Zeugnisse erhalten, so etwa Elfenbeintafeln von Tuotilo (913) Dank der Beigabensitte
sind vor allem aus dem allamannischen Bereich viele hochwertige Schmuckstücke
und Waffen erhalten, die zum grösste Teil aus einheimischen Werkstätten stammen.

Schriftliche Kultur, Wissenschaft und Bildung waren auf kirchliche Institutionen konzentriert, allen voran auf die Klöster. Doch auch innerhalb der grossen Abteien mit ihren kulturellen Leistungen gab es beträchtliche Unterschiede. Mehrsprachige Mönche bildeten eine Elite innerhalb der Klostergemeinschaft. Manche Konventsmitglieder konnten dagegen weder Latein schreiben noch komplexe Texte verstehen geschweige denn eine lateinische Konversation führen. Längst nicht alle Mönche waren Priester, an die höhere
Bildungsanforderungen gestellt wurden. Pfäfers etwa besass im 9. Jahrhundert einen
Anteil von zwei Fünfteln an Priestermönchen, was als hoch eingestuft wird. Ein
angemessene Schulung wurde auch von hohen Klerikern wie den denn Bischöfen
erwartet. Abtbischof Salomo von Konstanz (890-919) hatte in der Sankt-Galler Klosterschule eine gründliche Ausbildung empfangen und beherrschte das Latein bis zur Verskunst, seine Bildung war auch eine der Voraussetzungen für seine politische Karriere als Kanzler für die Könige Ludwig das Kind und Konrad I. sowie als Vertreter der Reichsgewalt in Schwaben. Daneben gab es durchaus auch gebildete Laien. Ekkehard IV. erwähnt
Angehörige der obersten Aristokratie, wobei die Frauen wie etwa Adelheid, die Gattin
Kaiser Ottos des Grossen, oft gebildeter waren als ihre Ehepartner.

Die klösterlichen Bildungsinhalte orientierten sich an der Glaubenslehre. Weltliches Wissen
wie Grammatik, Arithmetik oder Astronomie wurde zwar unterrichtet, diente jedoch in erster Linie zum Verständnis der kirchlichen Texte oder wurde in Bezug zum christlichen Glauben gesetzt. Weltliches Wissen sollte kein Selbstzweck sein und wurde von vielen Kirchenlehrern als mögliche Gefährdung der Seele abgelehnt oder gar als Teufelwerk eingestuft. Trotzdem wurden die meisten noch erhaltenen antiken Texte der Nachwelt über die mittelalterlichen Klöster vermittelt und somit vor dem Vergessen bewahrt. Die Beschäftigung mit diesen Werken war in erster Linie betrachtend: Das Wissen der Antike galt als Autorität und wurde nicht angezweifelt – eine Weiterentwicklung auf dieser Basis fand nicht statt. Das Mönchtum nahm gegenüber Wissen und Bildung eine ambivalente Haltung ein, und rein intellektueller Bildungstrieb wurde als Ablenkung von der Gotteslehre abgelehnt.

Dies kommt deutlich in der Vision Wettis, eines Reichenauer Mönchs Anfang des
9. Jahrhundert, zur Sprache. Die Vorherrschaft der geistlichen Themen zeigt sich in den
Bibliothekskatalogen, so auch in den Sankt-Galler Bücherbeständen. Die Konzentration
auf christliche Lerninhalt kommt auch in den Zielen der karolingischen Bildungsreform zum
Ausdruck, die viel Wert auf korrekte Wiedergabe von Texten aus der Bibel und aus
Büchern des rechten Glaubens legte. Die antike Profanliteratur in den Klosterbibliotheken
wird von der Forschung zumeist als Unterrichtsmaterial eingestuft.

Bildung wurde meist in Klosterschulen oder von Lehrern übermittelt, die in solchen
ausgebildet worden waren. Dies wirkte sich auf die Lehrstoffe für Schüler aus, die nicht
für die geistliche Laufbahn bestimmt waren. St.Gallen hatte zwei Schulen. Eine innere
für zukünftige Mönche und eine erst später belegte äussere für zukünftige Kleriker, in der
Mehrzahl Söhne von Adligen. Die Wertvorstellung des kriegerischen Adels widersprachen
den Klösterlichen Idealen, was sich gemäss den Erzählern der Sankt-Galler Klostergeschichten in disziplinarischen Problemen mit den Weltlichen Schülern niederschlug. Weitere Klosterschulen gab es in Pfäfers und Anfang des 9. Jahrhunderts in Benken. Auch das Frauenstift Schänis hatte eine Schule, doch liegen dafür erst später Belege vor. Daneben gab es vom 10. Jahrhundert an Kathedralschulen an Bistumssitzen und eine rudimentäre Ausbildung für Knaben in einzelnen Pfarrkirchen. Die Schriftlichkeit war im frühen Mittelalter wenig verbreitet, was sich auf die Zahl der geschulten Leute und die Lerninhalte auswirkte. Eine höhere weltliche Bildung wurde höchstens im Gerichtswesen, im Notariat und in der Verwaltung benötigt. Notariatsaufgaben in eigenen Belangen nahm das Kloster St.Gallen meistens mit eigenen Schreibern wahr, nur bei Rechtsgeschäften in fernen Städten griff es auf öffentliche Notare zurück. In Churrätien sind weltliche Notare und schreibkundige Amtsträger wie etwa der Zentenar Folkwin häufiger nachgewiesen. Für die Verwaltung der grösseren Güter wurde zudem noch Beamte benötigt, die Einnahmen von abhängigen Bauern irgendwie festhalten konnten. Schultexte aus St.Gallen vermitteln diese Unterrichtsebene anschaulich durch Rechenaufgaben über den Handel mit Schweinen, das Zählen von Naturaleinnahmen, Zahlungen an Bauarbeiter und Geldumrechnungen.

Ein grosser Teil der kulturellen Identität entwickelte sich über die Sprache. Die Schriftlichkeit und die Verwaltung waren unter der kulturellen Vorherrschaft der Kirche lateinisch geprägt – die Volkssprache wurde als „bäurisch“ eingestuft und galt bis zu Notker dem Deutschen nicht als Medium, dem man einen Inhalt in geschriebener Form anvertraute. Sowohl aus dem rätischen wie aus dem alamannischen Bereich liegen Zeugnisse für die abschätzige Haltung der intellektuellen Elite gegenüber den Volkssprachen vor.

Churrätien war unter römischer Herrschaft romanisiert worden. Über die Zeit und die
Wirksamkeit dieser Sprachänderung gehen die Meinungen auseinander. Anhand der
Ortsnamen im Sankt-Galler Oberland wird gegenwärtig angenommen, dass hier
eine – nicht durchgehende – Romanisierung erst im 4. Jahrhundert stattfand. Nach dem
Rückzug der Römer entwickelte sich die rätoromanische Sprache aus dem regionalen volkssprachlichen Latein. Durch die stärkere Einbindung in das fränkische Reich im
9.Jahrhundert und die Ausbreitung der alamannischen Bevölkerung wurde die romanische
Sprache einerseits in der Verwaltung und in der Oberschicht, anderseits regional von
Norden her zurückgedrängt: War das Romanische im frühen Mittelalter die Hauptsprache
im churrätischen Einflussbereich gewesen, so erfasste die Germanisierung bis 1500 bis
auf wenige Seitentäler ganz Unterrätien, wobei viele Gebiete jeweils längere Zeit
zweisprachig waren. Schriftliche Überreste des Altromanischen liegen seit dem
8./9. Jahrhundert vor. Die wichtigsten Zeugen sind die Siedlungs- und Flugnamen
sowie die Personennamen. Dazu weisen einige lateinische Urkunden einen
volkssprachlichen Einschlag auf. Eigenständige sprachliche und literarisch Schöpfungen,
beispielsweise aus dem Kloster Pfäfers, sind erst ab dem 12. Jahrhundert überliefert.
Die romanische kulturelle Identität im Frühmittelalter wird zudem durch einen eigenen
rätischen Schrifttyp bestätigt, wie er in den Urkunden, der „Lex Romana Curiensis“ und
dem „Liber viventium“ vorliegt.

Das Alamannische entwickelte sich von 4./5. Jahrhundert an aus den germanischen
Sprachen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die als Alamannen bezeichnet werden.
Die ältesten Dokumente sind einige wenige Runeninschriften. Mit der Zunahme der
Schriftlichkeit ab dem 8. Jahrhundert wurden alamannische Wörter und Namen auch in
lateinischer Schrift festgehalten, so etwa in Rechtstexten und Urkunden. Einer der
wichtigsten Überlieferungsorte für das Althochdeutsche war das Kloster St.Gallen. In
der Stiftsbibliothek liegt eine „Abrogans“ -Handschrift, das älteste erhaltene
lateinisch-deutsche Glossar aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Das Interesse
der Mönche an der deutschen Sprache bestand offenbar vor allem darin, den Schülern
den Zugang zu den lateinischen Schriften zu erleichtern. Besonders gilt dies für den Lehrer
Notker, der wegen seiner ausgedehnten Übersetzungstätigkeit – von der allerdings
nur noch Teile erhalten sind – den Beinamen „der Deutsche“ erhielt. Von anderen
Sankt-Galler Mönchen sind dagegen nur wenige althochdeutsche Texte und
Anstrengungen zur Vermittlung zwischen Latein und Volkssprache bekannt.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 258-261

 

Die Stellung der Frauen (9. – 10. Jahrhundert)

Eine Frau folgte rechtlich dem Stand ihres Vormundes, sei es des Vaters oder des Ehemannes. Die Verheiratung mit einem Unfreien brachte somit den Verlust ihrer Freiheit. In Churrätien erhielten Kinder aus solchen Ehen immer den geringern Stand. Während im alamannischen Bereich eine Höhereinstufung möglich, aber nicht die Regel war. Freie konnten hier ihre mit Hörigen gezeugten Kinder mittels einer materiellen Entschädigung an den Leibherren aus der Leibeigenschaft befreien. Straftatbestände galten in den Alamannengesetzen sowohl für Männer als auch für Frauen. Zusätzliche Bestimmungen betrafen den Schutz der Frauen vor sexuellen Übergriffen sowie den Strafftatbestand der Hexerei. Das Wergeld betrug bei allen Vergehen gegen Frauen das Doppelte. Dies wird heute mit der hohen Bewertung der Gebärfähigkeit in einer auf zahlreiche Nachkommen angewiesenen Gesellschaft interpretiert.

Grundsätzlich war die Frau besitz- und handlungsfähig, wenn auch mit Einschränkungen im öffentlichrechtlichen Bereich. Frauen der Oberschicht sowie Witwen hatten allgemein einen grösseren Spielraum. In den Sankt-Galler Urkunden zum alamannischen Bereich der
Nordostschweiz traten bei einem Sechstel der Rechtsgeschäfte Frauen selbstständig auf,
meist allein, seltener mit ihren Gatten oder Söhnen. Ab 822 unterstützte in einem Teil dieser Verträge ein Rechtsbeistand die handelnde Frau. Da diese Advokaten jedoch auch bei Verträgen von männlichen Laien auftraten und zwei Fünftel der Frauen weithin selbständig handelten, kann dies nicht als Verminderung der weiblichen Geschäftsfähigkeit interpretiert werden – vielmehr dürften in diesen Geschäften besondere Rechtskenntnisse gefragt gewesen sein. Ein weiteres Anzeichen für die rechtliche Handlungsfähigkeit der Frauen ist ihre eigenhändige Signatur in vier Fünfteln der Verträgen. Zu beachten ist jedoch, dass es sich stets um Rechtsgeschäfte mit einer geistlichen Institution handelte. Demgegenüber traten im churrätischen Bereich Frauen in privaten Verkaufsgeschäften auf, und Rechtsbeistände von Frauen sind hier nicht bekannt. Im Reichsgutsurbar ist sogar eine Frau namens Berehtrada als Inhaberin eines mittelgrossen Reichslehens verzeichnet. Dies sind Hinweise darauf, dass die Handlungsfähigkeit von Frauen im südlichen Kantonsteil grösser war.

In alamannischen Bereich kamen Frauen durch Erbschaft, Verheiratung oder durch
gemeinsame Errungenschaft in der Ehe in den Besitz von Gütern. Die Durchsetzung der
christlichen Ehevorstellungen brachte den Frauen materielle Vorteile, da zur kanonisch
rechtmässigen Ehe eine Brautausstattung durch den Ehemann gehörte, die Dotation. Zu
diesem Frauengut hinzu kamen die väterliche Ausstattung und die Morgengabe, eine
zusätzliche Schenkung des Ehegatten. Diese Güter dienten der Frau als Absicherung bei
Verwitwung. Bei ihrem Tod ging ihr Gut an die Kinder, eine Massnahme zur Sicherstellung
des Familienguts. Zu Lebzeiten hatte die Ehefrau das Nutzungsrecht, doch konnte sie in
einem gewissen Rahmen darüber verfügen, wie aus den Schenkungen an geistliche
Institutionen hervorgeht. In der Praxis zeigt es sich, dass bedingungslose Schenkungen meist nur von kinderlosen Personen gemacht wurden, während sonst eine Wiederbelehnung gegen einen Zins oder Rückkaufklauseln für die Nachkommen vereinbart wurden.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 223-224

 

Die Bevölkerung in unserer Region lebte im 11. Jahrhundert mit grosser Wahrscheinlichkeit in grosser Armut und leidete auch Hunger. Ein Streit zwischen Kirche und Adel um politischen Rechte war der Grund dafür. Die Leidtragenden waren hauptsächlich das gemeine Volk.

Streit zwischen Kirche und Hochadel im 11. Jh.

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entspannte sich eine Auseinandersetzung zwischendem Königtum und dem Papsttum: der Investiturstreit. Der erbittert geführte Konflikt wirkte sichauf die ganze Gesellschaft aus. Ausgelöst wurde der Streit durch das Anliegen der Kirche, sich von den politischen Verpflichtungen zu lösen, die in Widerspruch zum kanonischen Recht standen. Dadurch geriet sie in Gegensatz zum Königtum, das sich machtpolitisch stark auf die Reichskirche stützte und die Investitur, das heisst die Besetzung der wichtigen Kirchenämter, für sich beanspruchte. Im Investiturstreit vermischten sich religiöse Anliegen mit einer Auseinandersetzung zwischen den Fürsten und König Heinrich IV (1056-1106). In der Folge baute sich das Papsttum zu einer hierarchisch organisierten und rechtlich abgeschlossenen Körperschaft aus, die über weit mehr Macht verfügte, als mit dem Ziel der Kirchenfreiheit angestrebt worden war.

Auch die Nordostschweiz geriet durch die Auseinandersetzung der königstreuen Abtei
St.Gallen mit papsttreuen schwäbischen Adligen stark in Mitleidenschaft. Das Galluskloster
wurde 1077 durch die Wahl eines Gegenabtes Ulrich von Eppenstein (1077-1121) direkt in
den Investitursteit hineingezogen. Abt Ulrich, ein Herzogssohn aus Kärnten und mit dem
Königshaus verwandt, stand einer grossen Zahl von Papstanhängern gegenüber. Die Parteien verwickelten sich in einen zerstörerischen Fehdekrieg, der erst 1093 abflaute. Für die Abtei bedeutete der Konflikt eine Zäsur. Auf Ulrich von Eppenstein folgte bis ins 15. Jahrhundert eine Reihe von politisch orientierten Äbten, die sich mehr um weltliche Angelegenheiten als um das geistliche Wohl des Klosters kümmerten. Dies zeigt sich deutlich am Niedergang der Klösterlichen Kultur, weshalb diese Phase in der Klostertradition das eiserne Zeitalter genannt wird.

Unter den immensen Kriegskosten litt vor allem die Wirtschaft des Klosters, die Ländereien waren verwüstet, Teile des Kirchenschatzes mussten veräussert werden, Güter gingen als Bezahlung an die Krieger, und die Mönche hungerten zeitweilig. Für Land und Leute hatte dieser Krieg extreme Folgen: Beide Seiten schwächten den Gegner durch die Zerstörung der wirtschaften Grundlagen. Ortschaften wurden geplündert, Einwohner und Vieh getötet. Die Verwüstungen betrafen die Gebiete nördlich des Bodensees von Konstanz bis Bregenz und zogen sich bis ins sankt-gallische Rheintal und ins
Appenzellerland hinein – selbst Alphütten gingen in Flammen auf. Die Quellen erwähnen wenig zur Lage des Volkes, doch wenn selbst die Mönche von St.Gallen Mangel litten, lässt sich das Ausmass der Zerstörung durch diesen Fehdekrieg für die Bevölkerung abschätzen.

gekürzter Text aus Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1 Seite 211-212 Frühezeit bis Hochmittelalter, Autoren: Regula Steinhauser, Willi Schoch, Alfred Zangger

 

Als wir den Auftrag bekamen, über die Geschichte von Rossrüti zu schreiben, beschäftigte uns die Frage wie haben denn die einfachen Leute gelebt, in der Zeit als Graf Isanbart seine Höfe dem Kloster vermachte?

Antworten auf diese Frage zu finden ist nicht einfach. Schriftlich festgehalten wurde in jener Zeit nicht viel. Am ehesten sind Kaufverträge oder Schenkungsurkunden zu finden. Auch Berichte über das Leben des Adels oder in den Klöstern sind schriftlich festgehalten;
aber das einfache Volk … ? Somit ist klar, über das Leben der Menschen in Rossrüti im Frühmittelalter können wir nirgends etwas nachlesen.

Aber im Jahr 2003, im Jahr des Kantonsjubiläums erschien ein Geschichtswerk in acht
Bänden (Sankt – Galler Geschichte 2003), in dem auch eben dieses Leben der einfachen
Leute in unserer Region beschrieben wird.

Ruedi Bleiker hat nun Zusammenfassungen erstellt, zu verschiedenen
Lebensbereichen aus jener Zeit.

Wirtschaftsformen (10.-11. Jahrhundert)

Die frühe- und hochmittelalterliche Gesellschaft lebte überwiegend von der Landwirtschaft.
Eine klimatische Warmphase von 750 bis 1300 begünstigte die allmählich dichter werdende Besiedlung und die Nutzung zuvor unberührter Bebiete. Diese vorwiegend alemannische Kolonisierungsbewegung verlief in allgemeiner Richtung von Nordwesten nach Südosten. Das Zusammentreffen und das Zusammenleben mit der romanischen Bevölkerung Unterrätiens blieben – wohl nicht zuletzt dank der grossen Landreserven – weit gehend konfliktfrei. Mit den Niederlassungen ging eine Ausdehnung des Ackerbaus zulasten der Vieh- und Weidewirtschaft einher. Die meisten Schriftquellen vermitteln einen grundherrliche Sicht und rücken die von den abhängigen Bauern geforderten Getreide- und Arbeitsleistungen in den Vordergrund. Die bäuerliche Wirtschaftsweise war aber vielgestaltiger. Zu ihr gehörten Gemüse- und Baumgärten bei den Häusern, eine Sammel- und Weidewirtschaft ausserhalb der Ackerfluren, der Anbau von Weinreben und Textilpflanzen, Fischerei und Jagd, aber auch handwerkliche Tätigkeiten und die Herstellung von Alltagsgegenständen. Dem hohen Selbstversorgungsgrad der Haushalte und Hofverbände entsprach eine geringe Dichte spezialisierter Handwerke und Gewerbe, die sich in Herrenhöfen und Klostersiedlungen konzentrierten. Gering war auch das Handels- und Verkehrsaufkommen auf den Wasserwegen und dem verfallenden Netz der Römerstrassen.

Sankt-Galler Geschichte 2003 Band 1, Frühezeit bis Hochmittelalter, Seite 225,
Autoren: Regula Steinhauser, Willi Schoch, Alfred Zangger

 

Ruedi Bleiker hat sich ein paar Gedanken gemacht, warum Graf Isanbart wohl diese verschiedenen Höfe dem Kloster St. Gallen vermacht hatte:

Rossrüti „Am Anfang“

„Ich, Graf Isanbart vom Thurgau, übertrage dem Kloster St.Gallen …“ (804)

Wenn man diese erste urkundliche Erwähnung Rossrütis näher studiert, kommt schnell einmal die Frage auf: Warum verschenkte dieser Graf all diese Güter dem Kloster St.Gallen und bestimmt bei einem allfälligem Rückkauf sogar noch einen fixen Preis. Nur bei einem allfälligen Hinschied ohne Nachkommen kann das Kloster St.Gallen all diese Güter behalten. Wollte der Graf dem Kloster etwas gutmachen, oder machte er diese Schenkung nur, das die Mönche von St. Gallen ihn in ihr tägliches Gebet einschlossen?

Ich glaube, der wahre Hintergrund ist etwas Anderes. Solche Schenkungen an Klöster und
Kirchen vom „Niederen Adel“ wurden in dieser Zeit viele gemacht.

Die alemannischen Grafen dieser Gegend (Graf vom Thurgau, Graf vom Toggenburg usw.)
kamen entweder durch kriegerische Leistungen, durch Erblichkeit oder durch kirchliche
Erfolge zu diesem Titel. Rechtlich waren sie jedoch zu dieser Zeit dem deutschen Kaiser
Karl dem Grossen unterstellt. Da viele Äbte und Bischöfe von Konstanz, Chur, Pfäfers,
St. Gallen und Reichenau verwandtschaftlich den deutschen Kaisern und Königen nahe
standen, wurden die Klöster auch vom „Hohen Adel“ durch Grundstückgeschenke und hohen Besuchen beehrt. In dieser Zeit des aktiven Kontakts mit dem Königtum blühten die Klöster auch Kulturell. Das 9. Jahrhundert wird in der Klostergeschichte als goldenes Zeitalter bezeichnet.

Die Macht der Grafen gründete auf Führungsgruppen, Kriegserfolg, beweglichem Besitz und Reichsämtern. Wirtschaftliche Grundlagen waren Viehherden Leibeigene und Gefolgsleute. Der Besitz am genutztem Boden war wenig gefestigt.

1) Durch die Übertragung an die Klöster, wurde ein schriftliches Dokument erstellt und im
beschenkten Kloster verwahrt.

2) Bei kriegerischen Auseinandersetzungen unter den verschiedenen Grafen waren diese
Güter einigermassen sicher aus Respekt vor Kirchen und Klöster, da Aebte und
Klöster gute Beziehungen zu Kaiser und Könige pflegten.

3) In dieser Kriegerischen Zeit des 9. Jahrhundert wurde die Reichskasse des Kaisers arg
strapaziert. Zur Aufbesserung dieser Kasse steuerten auch die Grafen ihren Teil bei
durch Zahlungen. Für alle verschenkten Güter mussten sie keine Abgaben machen, da
diese Höfe schon ihre Zehntenabgaben ans Kloster machten, aber immer nach unter der
Verwaltung des Grafen standen. Somit standen sie unter dem Schutz des Grafen sowie
auch im Schutz des Klosters. Oder konnte der schenkende Graf, Herzog oder Adelige
durch diese Schenkung Steuern sparen und sich dabei auch bei Kriegerischen
Auseinandersetzungen mit dem Kloster verbinden.

4) Oder ist es eine vierte Variante, dass sich Graf Isanbart einfach mehr ans Kloster St.Gallen binden wollte, wegen einem anderen aufstrebendem Adelsgeschlecht in dieser Region. (Die Toggenburger)

Quelle: „St. Galler Geschichte 2003 Frühzeit bis Hochmittelalter Band 1“
Autoren: Regula Steinhauser, Willi Schoch, Alfred Zangger

 

Der erste Text zeigt die Urkunde vom 29. Februar 804, die erste bekannte schriftliche Erwähnung von unserem Dorf und die deutsche Übersetzung dazu.

Übersetzung der ältesten Urkunde von Rossrüti von
Dr. phil. Mauro Mantovani und Prof. Dr. St. Sonderegger:

Ich, Graf Isanbard, übertrage von meinen rechtsmässigen Besitz dem Kloster St. Gallen
unter Bekräftigung durch diese Urkunde an Gütern im Thurgau in den Orten Wiesedangen, Rossrüti, Wil, Zuzwli und Ganterschwil alles, was an diesen Orten ist oder dazu gehört, soweit es meinen Anteil betrifft. Damit ich , sofern es mit dereinst belieben sollte, diese Güter zurückkaufen kann, soll mir ein Rückkaufsrecht gegen den Wert von zwanzig Schilling, verteilt auf Gold, Silber und reine Seide, zustehen. Falls aber mein Hinschied eintreten sollte, bevor ich die Güter zurückkaufen konnte, sollen das Kloster selbst, bzw. dessen Vorsteher diese auf alle Zeiten besitzen. In Anwesenheit der Zeugen Iso, Aschari, Wolfdirik, Wanzo, Sicgaer, Boazzo, Vulfwini, Iso, Waldbert, Landolt, Warinbert, Bato, Rihcoz, Arolf, Hatti, Adalcoz, ferner von mir, Werenkis, der ich dies geschrieben und unterzeichnet habe. Ausfertigung am Donnerstag, an den Kalenden des März, im 5. Jahr der Regierung des Königs Karl (= 29. Februar 804) unter dem Grafen Scopo.

Stiftsarchiv St. Gallen Urkunde I 174
Quelle: Rossrüti und der „Hirsmäntig“ , Willi Olbrich 1991, S. 14 / 15